An einer alten Kastanie wurden bei einer Baumaßnahme Wurzeln beschädigt und entfernt. Eine Rettung des Baumes kann versucht werden, der Ausgang ist allerdings ungewiss.
Aktueller Zustand
Die Kastanie (Aesculus hippocastanum) steht mit einem weiteren Exemplar vor dem Eingang einer Kirche. Die Wurzeln des Baumes waren mit dem ursprünglichen und inzwischen entfernten Bauwerk (Mauer, Treppe) verwachsen, so dass diese im Zuge der Baumaßnahmen entfernt wurden. Dabei kam es auf der der Kirche zugewandten Seite zur Abtrennung und Schädigung der Wurzeln aller Dimensionierungen. Die bisherigen Wurzelabtrennungen reichen dabei bis auf etwa 80 Zentimeter an den Stamm heran und nach unten bis zur Baugrubentiefe von etwa 110 Zentimeter.
Für das weitere Vorgehen bieten sich zwei Optionen an: Versuch des Erhalts des Baumes oder Entnahme mit angemessener Neupflanzung.
Option 1: Erhalt
Als Sofortmaßnahmen sollten zunächst die weiteren Grabungen in Handschachtung durchgeführt werden, die Wurzeln sauber bei kleinster Schnittfläche abgetrennt werden und vor Austrocknung und Frost geschützt werden. Mit Beendigung der Baumaßnahmen sollte der Bereich mit Substrat und geeigneten Mykorhizzapilzen zur Anregung der Neubildung von Wurzeln locker verfüllt werden. Zeitnah sollte eine Baumuntersuchung (z.B. Zugversuch) zur Feststellung der Standsicherheit der Kastanie durchgeführt werden. Eine solche Untersuchung kann zum Ergebnis haben, dass der Baum standsicher ist, dass er nicht mehr standsicher ist und gefällt werden muss oder dass zur Wiederherstellung der Standsicherheit Einkürzungen im Kronenbereich vorgenommen werden müssen, um die Windangriffsfläche zu verringern. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass der Baum die Blattmasse benötigt, um den fehlenden Wurzelverlust mit entsprechender Wurzelneubildung zu kompensieren. (→ Kroneneinkürzung)
Empfehlenswerter ist – sofern möglich – ein bedarfsgerechter Rückschnitt bzw. Entnahme von Ästen bei der Bildung von Totholz, welches aufgrund des Wurzelverlustes entstehen wird.
Solche Maßnahmen werden immer wieder in den folgenden Jahren notwendig sein, um das Kronenvolumen dem Wurzelvolumen anzugleichen und den Baum in einem verkehrssicheren Zustand zu halten. Zumindest an den abgetrennten stärkeren Wurzeln ist mit dem Eindringen von Pilzen und Fäule zu rechnen, welche mittelfristig bis in den Stamm reichen können. Es sollte eine halbjährliche visuelle Baumkontrolle, später je nach Entwicklung ggf. jährlich oder mit eingehenderen Untersuchungen, durchgeführt werden.
Aufgrund des hohen Alters der Kastanie und der bereits leicht abnehmenden Vitalität sind die Erfolgschancen des Erhalts als mittel bis gering (40 bis 20 Prozent) einzuschätzen. Im Idealfall kann der Baum noch Jahrzehnte stehen bleiben und im Laufe der Zeit langsam absterben. Eventuell ist ein mittelfristiger Erhalt möglich, es kann allerdings auch zu einem raschen Absterben oder einer verkehrssicherungsbedingten Entnahme innerhalb von wenigen Jahren kommen.
Option 2: Fällung
Der Baum sollte in Übereinstimmung mit natur- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen entnommen werden. Nach der Baumaßnahme sollte eine Neupflanzung erfolgen. Dabei muss ausreichend Wurzelraum zur Verfügung gestellt werden, was weitere Baumaßnahmen notwendig macht (überbaute Pflanzgrube mit Tiefenbelüftung und mind. 12 m³ Wurzelraum). Zudem müssen die Wurzeln gezielt in andere Bereiche gelenkt werden, so dass das neue Bauwerk nicht von Wurzeln tangiert wird.
Bewertung
Die Kastanie kann aufgrund ihres Alters und der ortsbildprägenden Erscheinung als erhaltenswert eingestuft werden. Sofern der Baum nach der Untersuchung als standsicher angesehen wird und aus ökonomischer Sicht Variante 1 machbar ist, sollte das Risiko eingegangen werden und ein Erhalt versucht werden. Beide Optionen sind mit Kosten für kurzfristige Maßnahmen im unteren fünfstelligen Bereich etwa gleich teuer. Folgekosten entstehen in beiden Fällen für Baumpflege und Kontrolle bei Option 1 und Jungbaumpflege mit Bewässerung usw. bei Option 2.
Entscheidend ist letztlich, ob das Risiko des Erhalts mit der Chance eingegangen werden soll, weiterhin einen einmaligen Altbaum zu bewahren, der durch eine Neupflanzung nicht ersetzt werden kann.