Zunächst sollte jeder Baum als erhaltenswert betrachtet werden, eine Fällung sollte nur das allerletzte Mittel sein. So kann ein geschädigter Baum etwa durch Pflegemaßnahmen oder eingehenden Untersuchungen vor der Fällung bewahrt werden. Auch bei geplanten Baumaßnahmen gilt es herauszufinden, ob ein Baum erhalten werden kann. Dazu müssen Faktoren wie Schädigungsgrad, Vitalität, Zustand und zu erwartende Reststandzeit/Lebenserwartung betrachtet werden.
Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes
In Rosenheim soll der Bahnhofsvorplatz/Südtiroler Platz umgestaltet werden. Die Stadt hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, um den Baumbestand auf seine Erhaltenswürdigkeit zu überprüfen. Dazu wurden die Bäume in Noten kategorisiert. Viele von ihnen bekamen eine schlechte Benotung und sollten deshalb gefällt werden. Der BUND Naturschutz hat gegen die geplanten Fällungen über 5.400 Unterschriften gesammelt und Baumsicht mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Im Sommer 2014 wurden exemplarisch fünf Bäume überprüft.
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Interview mit Steffen Storandt vom BUND Rosenheim
Auszüge aus dem Gutachten:
Zwei der Bäume, eine Esche und eine Kastanie, befinden sich im Bereich eines ehemaligen Bunkers, drei weitere Bäume, eine Platane, eine Linde und ein Ahorn, stehen auf der Wiese vor dem Bahnhofsgebäude.
Begutachtung unter Berücksichtung zahlreicher Faktoren
Die fünf zu begutachteten Bäume wurden visuell vom Boden aus betrachtet. Neben Schäden und Defekten am Baum wurden zur Einschätzung der Erhaltenswürdigkeit und der Reststandzeit die Vitalität, das Alter, der Standort und das Baumumfeld ganzheitlich unter Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen, verkehrssicherheitsrechtlichen sowie natur- und artenschutzrechtlichen Aspekten einbezogen.
Einordnung in Schulnoten und Ampelsystem
Im von der Stadt beauftragten Gutachten wird die Erhaltenswürdigtkeit der Bäume anhand von Schulnoten eingeteilt. Bäume mit der Note 3 werden als mäßig erhaltungswürdig kategorisiert und später in einem Ampelsystem mit Gelb bewertet. Dies ist zwar eine anschauliche Möglichkeit zur Präsentation der Ergebnisse, führt aber beim Auftraggeber dazu, dass diese Bäume bei der Baumaßnahme nicht erhalten werden. Im Gutachten wurde daher eine konkrete Reststandzeit der Bäume genannt.
Begutachtete Bäume
Fraxinus excelsior
Die Esche (Fraxinus excelsior) befindet sich auf dem Bunker. Der mehrstämmige Baum weist eine gute Vitalität auf und zeigt derzeit keine Anzeichen von Eschentriebsterben. Möglicherweise ist der Baum gegen die Erkrankung resistent. Durch die Mehrstämmigkeit und den hohen Kronenansatz ergibt sich zwar kein typischer Habitus, jedoch hat sich der Baum im Laufe seines Lebens entsprechend angepasst, so dass sich derzeit keine statischen Einschränkungen ergeben. Die Esche wird zudem von den umstehenden Bäumen vor Wind geschützt. Eine Entfernung von Nachbarbäumen oder gar eine komplette Freistellung würde sich aber negativ auswirken. Die Bruchsicherheit wäre dann mitunter deutlich eingeschränkt.
Bei der Astungswunde im unteren Bereich des Stammes zeigt sich bei der Betrachtung mit dem
Sondierstab kein tiefergehender Defekt.
Die oberflächennahen Wurzeln weisen Schäden auf, die aber keine Probleme verursachen. Es ist
davon auszugehen, dass sich das übrige Wurzelsystem der Esche weitreichend im Bereich des Bunkers ausdehnt.
Der Baum kann bei den jetzigen Bedingungen noch 40 bis 60 Jahre am Standort verbleiben und
ist somit als erhaltenswert einzustufen.
Aesculus hippocastanum
Die Roßkastanie (Aesculus hippocastanum) steht im nordöstlichen Bereich des Bunkers. In der
Krone ist ein Riss im Stämmling zu erkennen, der aber vermutlich nur oberflächlich ist und vom
Baum gut überwallt werden kann. Eine Klopfprobe mit einem Schonhammer am Stamm verlief
negativ. Die ausladende Äste stellen keine Probleme dar, sie erforden allenfalls mittelfristig den Einbau einer Kronensicherung oder einen leichten Rückschnitt. Am untersten Ast wurde bereits kürzlich ein Teil eingekürzt.
Eine oberflächennahe Wurzel weist Rindenschäden auf. Der Boden ist stellenweise verdichtet und versiegelt. Um den Baumstandort zu optimieren, könnten bodenverbessernde Maßnahmen wie etwa eine Entsiegelung und Lockerung durchgeführt werden. Anschließend sollte das Umfeld vor erneuter Verdichtung und Versiegelung geschützt werden (z.B. podestartiger Aufbau mit Punktfundamenten im betreffenden Bereich).
Leider wurden bisher keine Maßnahmen zum Schutz des Baumes vor der Baustelle ergriffen.
Eine Wurzel im Bereich der Baumaßnahme war erkennbar geschädigt und ungeschützt.
Besorgniserregend waren zudem zahlreiche abgetrennte Wurzelstücke in der Nähe des Baumes, deren Herkunft aber unklar ist.
Mit entsprechenden Schutz- und Bodenverbesserungsmaßnahmen kann der Baum für die nächsten 80 bis 100 Jahre erhalten bleiben.
Platanus x acerifolia
Die Platane (Platanus x acerifolia) befindet sich an der nördlichen Ecke der Wiese. Die bereits
vorhandene Kronensicherung sollte durch eine neue, ggf. höher dimensionierte, und korrekt
eingebaute (im belaubten Zustand leicht durchhängende) Kronensicherung ersetzt werden. Der Baum zeigt eine gute Vitalität und hat keine weiteren Schäden. Die zu erwartende Reststandzeit beträgt 60 bis 80 Jahre.
Allerdings wurden auch hier keine Schutzmaßnahmen im Zuge der Baustelle getroffen. Eine beschädigte Wurzel liegt offen und angerissen da. Ein darüber befindlicher Ast weist
Schrammspuren auf. Hier hätte man eine lichtundurchlässige Folie zur Förderung von
Flächenkallus anbringen können.
Acer platanoides
Der Spitzahorn (Acer platanoides) auf der Wiese ist ein vergleichsweise junges Gehölz. Der Baum hat an einem Ast in der Krone eine leichtere Verletzung sowie mehrere Astungswunden. An den Blättern zeigt sich Befall von Mehltau, der aber nur das optische Bild des Baumes beeinträchtigt.
Der Kronenaufbau ist durch den fehlenden Leittrieb nicht optimal, wird aber in absehbarer Zeit
keine Probleme verursachen. Der Baum ist deshalb als erhaltenswert einzustufen. Die zu
erwartende Reststandzeit beträgt mindestens 60 bis 80 Jahre.
Tilia cordata
Die auf der Wiese stehende Winterlinde (Tilia cordata) weist als einziger der begutachteten
Bäume signifikante Schäden auf. Durch die Entfernung eines Stämmlings ist eine große Wunde entstanden, an deren Schnittfläche sich eine Fäule bilden wird bzw. sich weiter ausbreitet bis auch die Bruchsicherheit im verbliebenen Stämmling nicht mehr gegeben ist. Bis aber die Verkehrssicherheit soweit beeinträchtigt ist, können noch Jahrzehnte vergehen. Der Schaden sollte dennoch näher angeschaut werden. An der Schnittstelle haben sich zahlreiche Reïterate
gebildet, welche auch die gute Vitalität des Gehölzes zeigen. Der Baum versucht in einer Art Panikreaktion die fehlende Blattmasse zu ersetzen. Allerdings haben solche Neuaustriebe eine schlechte Anbindung an den Stamm und können daher aus- bzw. abbrechen. Sie müssen etwa alle fünf Jahre vereinzelt werden (Entnahme der größten Neuaustriebe). Die Krone der Linde wird in Anbetracht des Schadens bzw. abnehmender Vitalität aufgrund des Alters immer wieder weiter reduziert werden müssen. Der Zeitraum erstreckt sich aber über mehrere Jahrzehnte, so dass die Linde noch etwa 80 Jahre einen hohen ökologischen Wert erfüllen kann. Dieser erhöht sich mit dem Alter des Baumes und den damit zunehmenden Schäden. Höhlungen, Mulmhöhlen, Totholz usw. dienen vielen Vögeln, Säugetieren und Insekten als Wohn-, Ruhe- und Fortpflanzungsstätte, sind von großer natur- und artenschutzrechtlicher Relevanz und sollten besonders in dieser innenstädtischer Lage bewahrt werden. Die Linde kann vielleicht noch Jahrhunderte als Habitatbaum dienen.
Fazit
Die Betrachtung einzelner Bäume zeigt den hohen Wert der Gehölze. Die Bäume sind als erhaltenswert anzusehen und können noch mehrere Jahrzehnte ihre wichtige Funktion in innerstädtischer Lage erfüllen. Dazu müssen alle Maßnahmen zum Erhalt, insbesondere der Schutz vor Baumaßnahmen, eingehalten werden. Auch bei einem Großteil der anderen nicht explizit begutachteten Gehölze zeigen sich ähnliche hohe Reststandzeiten und somit eine hohe Erhaltenswürdigkeit.
Im Februar 2015 wurden Bäume gefällt.
Infos vom BUND Naturschutz Rosenheim, Gutachten von Tanja Sachs, Gutachten von Baumsicht